IV. Industrielle Revolution und Reichsgründung (1850 - 1871)

Das Jahrzehnt nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 ist in Deutschland geprägt von der politischen Reaktion und von der industriellen Revolution. Die Industrialisierung verändert das soziale Gefüge von Grund auf.

Einem stetig wachsenden Industrieproletariat steht die kleine Schicht eines reichen und selbstbewußten Industriebürgertums gegenüber.

Preußen nimmt in Bezug auf die industrielle Entwicklung eine führende Stellung ein, da es eine den Interessen des Bürgertums entsprechende Wirtschaftspolitik verfolgt. Der wirtschaftliche Vorsprung stärkt Preußens politische Stellung gegenüber Österreich in nicht unerheblichem Maße.

Das Gedankengut des politischen Liberalismus bleibt in diesen Jahren trotz der herrschenden politischen Realität lebendig und erhält noch einmal großen Auftrieb beim Regierungsantritt des als liberal-konservativ geltenden Prinzregenten Wilhelm (1858). In der Folge entsteht 1861 die Deutsche Fortschrittspartei, ein Bündnis aus entschiedenen Liberalen und Demokraten. Die Frage der Heeresreform, die 1862 die politische Diskussion bestimmt, wird für die Fortschrittspartei zur entscheidenden Machtprobe mit dem monarchisch-konservativen Staat, in der sie aber unterliegt. Im Jahr 1863 wird mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch Ferdinand Lasalle der Fortschrittspartei ein großes Wählerreservoir entzogen. Ursache für den Bruch zwischen liberalen und demokratischen Reformkräften ist die Tatsache, daß die Politik der Partei in hohem Maße nur noch den bürgerlichen, nicht aber den proletarischen Interessen entspricht. Otto von Bismarck, der 1862 preußischer Ministerpräsident wird, verfolgt eine starre antiliberale Politik. In der schleswig-holsteinischen Frage treibt er den Konflikt mit Österreich bis zum Krieg (1866), der mit einem Sieg Preußens endet. Dieser militärische Erfolg dokumentiert gleichzeitig den endgültigen Sieg Preußens im Kampf um die Vormachtstellung in Deutschland. Mit der Gründung des Norddeutschen Bundes zeichnet sich eine kleindeutsche Lösung in der nationalen Frage unter Führung Preußens ab. Dies ist der erste Schritt zur Einigung Deutschlands.

Die Verfassung des Norddeutschen Bundes ist bereits auf einen möglichen Beitritt der süddeutschen Staaten angelegt. Bismarck als Kanzler des Norddeutschen Bundes ist allein dem König von Preußen verantwortlich, nicht aber dem Parlament.

Preußens Führungsposition in Deutschland verstärkt die Spannungen mit Frankreich, das seine europäische Vormachtstellung in Gefahr sieht. Das führt schließlich zur französischen Kriegserklärung. Die überlegene preußische Armee wird von den Truppen der süddeutschen Staaten unterstützt. Der Sieg über Frankreich ruft in ganz Deutschland nationale und patriotische Begeisterung hervor, die ihren Höhepunkt in der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles hat.