4. Der Parlamentarier Ludwig Windthorst (1867 - 1891)
4.8 Die Schulfrage
Zur ersten großen parlamentarischen Auseinandersetzung zwischen Bismarck und Windthorst kam es zu Beginn des Jahres 1872, als das Schulaufsichtsgesetz im preußischen Abgeordnetenhaus zur Debatte stand. Bereits in hannoverscher Zeit hatte Windthorst Schulfragen einen hohen Stellenwert eingeräumt; vor allem wollte er den kirchlichen Einfluß auf die Schulen sichern und bekämpfte energisch die Säkularisation der Schulen.
Windthorst kritisierte den eingebrachten Entwurf des preußischen Schulaufsichtsgesetzes und forderte für den Fall der Annahme des Schulgesetzentwurfes die volle Verwirklichung der Unterrichtsfreiheit. Das bedeutete wiederum, daß der Kirche das Recht auf die Errichtung von Privatschulen gewährt und ihr das kirchliche Vermögen zur freien Disposition übertragen werden müsse.
Eine derartige Regelung der Schulfrage war unter den gegebenen Umständen kaum zu verwirklichen, und so unterlag das Zentrum bei der Abstimmung über das Schulaufsichtsgesetz.
Nach Beendigung des ”Kulturkampfes” thematisierte Windthorst im Frühjahr 1888 erneut die Schulfrage. Da eine Revision des Schulaufsichtsgesetzes zum damaligen Zeitpunkt keine parlamentarische Chance besaß, versuchte Windthorst zu erreichen, daß der Religionsunterricht vollständig und selbständig durch die Kirche geleitet erteilt würde. Windthorst konnte sich mit dieser Eingabe zwar nicht durchsetzen, bemühte sich aber weiter um Gesetzesrevisionen. Im Januar 1892 brachte der damalige Kultusminister Graf von Zedlitz-Trütschler eine neue Schulvorlage ein, die der Konfessionsschule den Vorrang vor der Simultanschule einräumte und den konfessionell-kirchlichen Charakter des Religionsunterrichtes sicherte.
Obwohl sich eine parlamentarische Mehrheit für diesen Schulentwurf abzeichnete, scheiterte er am Widerstand Wilhelms II. In den folgenden Jahren kam ein umfassendes Schulgesetz in Preußen, das unter anderem auch das Verhältnis von Kirche und Staat hinsichtlich der Schule prinzipiell geregelt hätte, nicht mehr zustande.